I. Einleitung
Der Zugang zum Internet ist mittlerweile, zumindest in der wissenschaftlichen Welt, zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Beim Anbieten von Inhalten ergriff der traditionelle Buchhandel im Vergleich zu anderen Branchen sehr früh die Initiative und stellte beispielsweise Katalogdaten online zur Verfügung.
Zugute kam hier, daß der komplette Publikationsprozeß
schon seit Mitte der 80er Jahre aus Gründen der Wirtschaftlichkeit
datenbankgestützt abgewickelt wurde: Aus der Datenbank wurden
direkt Belichtungsdateien generiert und dadurch aufwendiger und
fehlerträchtiger Neusatz vermieden. Dadurch war es kein Problem,
durch einfache Schnittstellendefinition auch eine Onlineversion
der gedruckten Kataloge zu produzieren und den Prototyp eines
Online-Bookshops in Angriff zu nehmen .
Neben den traditionellen Sortimenten etablierten sich inzwischen
auch eine ganze Anzahl von "Online"-Buchhandlungen.Bemerkenswert
ist, daß es den klassischen Versandbuchhandlungen in dieser
Anfangsphase weit weniger gut gelang, im Onlinesektor Fuß
zu fassen als den klassischen Sortimenten.
Erfahrung im Direktvertrieb, die vorhandene Infrastruktur und
die bestehenden Kundenkontakte versetzen den Buchhandel in die
Lage, bei der Beschreitung neuer Distributionswege für elektronische
Informationen Akzente zu setzen.
II. Datenkonvertierung
Die Konvertierung von Daten aus externen Datenbanken in einheitliche Datenstrukturen ist für den Buchhandel seit vielen Jahren alltägliche Praxis. Aus unterschiedlichsten Quellen mit uneinheitlichen Schnittstellen wird eine einheitliche Datenstruktur erzeugt, da außer VLB, Books in Print, Bookbank, DNB, Bookfind, BNF, BNB, RNB auch jeder Verlag, der in der Lage ist, Daten strukturiert zur Verfügung zu stellen, ein eigenes Format benutzt. Und leider konnten sich auch die bibliothekarischen Austauschformate nicht in der Buchhandelsbranche durchsetzen.
Flexibel anpassbare Konvertierungssoftware ist umso notwendiger, als frühe Bestrebungen des betriebswirtschaftlichen Ausschusses des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, eine Standardisierung bibliographischer Daten anzustreben, weitestgehend nur im Austausch von Bestelldaten zwischen Buchhandel und Zwischenbuchhändler griffen.
Diese Situation beeinflußt nicht nur den buchhandelsinternen
Geschäftsverkehr, sondern hat auch Auswirkungen auf die Nutzer
dieser CD-ROM-Datenbankprodukte in Bibliotheken. Beispielsweise
wird eine Ende der 80er Jahre von Lehmanns entwickelte Software,
mit der lieferantenunabhängig Bestelldaten aus ca. 20 unterschiedlichen
Datenbanken (einschließlich einiger Online-Verbundkataloge)
konvertiert und generiert werden können, immer noch von über
100 Bibliotheken eingesetzt, darunter auch einigen Universitätsbibliotheken
- trotz mittlerweile sehr leistungsfähiger integrierter Erwerbungsmodule
bei Bibliotheks-Verbundsystemen.
Zur Zeit wird bei Lehmanns versucht, den bibliographischen Angaben
eines Dokuments Kurzbeschreibungen, Inhaltsangaben oder Leseproben
möglichst auch dann automatisch zuzuordnen, wenn die Konvertierung
von Printvorlagen erfolgen muß.
III. Kataloge/Bestellsysteme
Leistungsfähige Recherche-Software ist die Grundlage für
ein erfolgreiches Online-Angebot. Mittlerweile gibt es einige
sehr gute Beispiele (http://www.buchkatalog.de, http://www.buchhandel.de),
die auch von Buchhandlungen direkt via Link genutzt werden können,
ohne sich selber um Datenbankaktualisierungen oder Verwaltung
von Warenkörben kümmern zu müssen.
Dieses Verfahren hat aber für den Buchhändler den entscheidenden Nachteil, nicht selber inhaltlich Einfluß auf die angebotene Datenbank nehmen zu können, sei es mit der zusätzlichen Integration von Abbildungen, Inhaltsangaben, Rezensionen, Leseproben, Klappentexten oder gar des vollständigen elektronischen Dokuments. Eigene redaktionelle Aufnahmen sind - wenn überhaupt - nur sehr umständlich integrierbar.
Gerade das Angebot zusätzlicher Informationen, die über die rein bibliographischen Angaben hinausgehen, wird für die weitergehende Vermarktung von Online-Produkten, neben dem eigentlichen "wo finde ich was", unverzichtbare Voraussetzung für eine Kaufentscheidung sein und über kurz oder lang, neben der Güte und dem Umfang der zugrundeliegenden Datenbank, vor allem im wissenschaftlichen Bereich ein Hauptnutzungskriterium werden.
Hier sind wir den großen amerikanischen Bookshops merkwürdigerweise
voraus, da diese allenfalls Titel aus der Bestsellerliste zusätzlich
inhaltlich erschlossen haben.
Der Problematik des Nachweises von Bestelldaten in den jeweiligen
lokalen Systemen -bei elektronischen Bestellungen fehlt im Regelfall
eine Bestellunterlage, außer der Nutzer behilft sich mit
Bildschirmausdrucken oder ähnlichem - wird beim Lehmanns
Online Bookshop insofern Rechnung getragen, als automatisch eine
Rückübermittlung der Bestelldaten per eMail in einem
strukturierten Format erfolgt. Als möglichst einfaches Format
wird das Austauschformat UK-Marc benutzt, welches auch bei den
Whitaker-Bookbank-Produkten Verwendung findet und sicherlich ohne
größeren Aufwand in kundenseitige Bestellsysteme implementiert
werden kann.
Zusätzlich zur Online-Recherche über das World-Wide Web bietet Lehmanns eine Datenbankschnittstelle per eMail an, wobei wahlweise die Titeldaten auch im strukturierten Format geliefert werden können:
search@lehmanns.de - bibliographische Angaben und alle Zusatzinformationen (außer Bildern)
msearch@lehmanns.de - bibliographische Angaben im UK-Marc Format.
Als Ergänzung zur Monographiendatenbank liegt auf dem Lehmanns-Server
auch eine kostenlose Testversion der Medline auf, mit eingeschränktem
Zeitraum, aber vollem Funktionsumfang der SilverPlatter Retrieval
Software.
IV. Datenlieferungen für unternehmensinterne Netze
Immer mehr Firmen und Institutionen bauen unternehmensinterne Intra- oder Extranets auf. Neben dem Kantinenplan und der Telefonliste ist eine der möglichen Anwendungen mit nahezu garantiert hoher Akzeptanz eine Literaturdatenbank mit einer auf das Unternehmensprofil zugeschnittenen fachlichen Ausrichtung. Dies entspricht den "klassischen" Neuerscheinungsdiensten, allerdings mit entscheidenden Vorteilen:
Die Firmen oder Institutionen sind für die Retrieval-Software
selbst verantwortlich, auf welcher Plattform die Daten angeboten
werden, ist dadurch weitgehend unwesentlich. Eine Minimallösung
sind statische HTML-Seiten, die auch direkt von Lehmanns geliefert
werden können. Normalerweise werden die Daten nach vom Kunden
vorgegebenen Kriterien aufbereitet und zugestellt, dort in eine
Datenbank eingelesen und - mit Bestell- oder Ausleihfunktionen
versehen - den Mitarbeitern angeboten. Auch und gerade hier gilt,
daß nur mit möglichst umfangreicher zusätzlicher
Information der größtmögliche Nutzen erzielt wird.
Lehmanns erprobt dieses Verfahren derzeit mit dem Fachinformationszentrum
der Siemens AG, monatlich werden ca. 2-3 000 Titelsätze generiert
und per WWW-Download ausgetauscht.
V. Anbieten von eigenen Inhalten
Im Zeitalter der Online-Publikation fällt natürlich
ein gravierender Nachteil des verbreitenden Buchhandels besonders
ins Gewicht: Er verfügt über keine oder wenig verwertbare
Originaldokumente und ist deshalb für den Vertrieb auf die
Produktion der Verlage angewiesen. Nun zeichnen sich elektronische
Publikationen unter anderem dadurch aus, daß diese wesentlich
kostengünstiger hergestellt werden können als Printprodukte.
Nachfrageabhängige Auflagen können ohne Schwierigkeiten
zu nahezu identischen Kosten produziert werden. Ein Beispiel:
die Nachpressung der sehr erfolgreichen deutschen debian-Linux-Distribution,
einer Doppel-CD mit Installationsanleitung, kostete bei Stückzahlen
jeweils zwischen 500 und 1000 praktisch genau so viel wie die
für die Kalkulation des Verkaufspreises maßgebende
erste Auflage. Der Kostenvorteil bei wesentlich höheren Startauflagen
ist innerhalb der Gesamtkalkulation so minimal, daß dieses
bei der Errechnung des Verkaufspreises nicht nennenswert ins Gewicht
fallen würde.
Diese Kalkulation gilt natürlich immer nur unter der Voraussetzung, daß die Autoren entweder die benötigte Software selber produzieren oder aber Standardsoftware einsetzen (HTML, Acrobat). Beim Einsatz von Standardprodukten fällt außerdem ins Gewicht, daß Publikationen gleichzeitig sowohl Online, als auch Offline (auf Datenträger oder "Printing-on-Demand"-Produkt) angeboten werden können. In solchen Fällen genügt es den Autoren häufig, sich praktisch ausschließlich mit einem Distributor auseinanderzusetzen, der die übrigbleibenden "verlegerischen" Aufgaben übernimmt und auch direkt den Verkauf an den Endkunden steuert.
So minimieren sich natürlich die Fixkosten, da eine Buchhandlung
weder über Lektorat noch Herstellung oder (Wiederverkäufer-)
Vertrieb verfügt und letztendlich auch keine separate Auslieferung
unterhalten muß, zumal dann, wenn der potentielle Markt
durch ein eigenes Filialnetz mit angeschlossenem Online-Bookshop
zu einem erheblichen Teil abgedeckt werden kann.
Einige Produkte sind für diesen verkürzten Publikationsprozeß
prädestiniert: neben Tagungsbänden, die zu den reinen
Beiträgen in dieser Publikationsform auch durch die Ergebnisse
der Diskussion aufgewertet werden können (Lehmanns wird voraussichlich
ein solches eMail-basiertes Verfahren anläßlich der
Frühjahrstagung der DPG erproben) sind sicherlich auch Dissertationen
in dieser Form denkbar, sofern die rechtlichen Voraussetzungen
dafür gegeben sind.
VI. Archivplatz für Autoren und Verlage
Voraussetzung für die klassische Buchhandlung ist ein möglichst
geeignetes Ladenlokal, Voraussetzung für den Online-Vertrieb
sind leistungsfähige Server in einer möglichst schnellen
Umgebung. Was nützt schon die schönste Anwendung, wenn
die 64-Kbit Anbindung bereits beim 3. Besucher hoffnungslos verstopft
ist. Das Vorhalten von Serverkapazitäten und Bandbreite ermöglicht
Autoren und Verlagen ohne eigene Netz-Infrastruktur kostengünstig
die Nutzung sowohl von Archivplatz als auch Softwareschnittstellen
bis hin zur Datenbanknutzung. Eine gleichzeitige Integration in
die Online-Datenbank versteht sich von selbst.
VII. Neue Partnerschaften
Internet-Technologie ermöglicht Kooperationen mit anderen, nicht unbedingt buchhandelstypischen Partnern, die früher kaum zustande gekommen wären. In erster Linie sind hier Kooperationen mit den Online-Services der Printmedien zu nennen. Werden die klassischen "Lesershops" noch in Eigenregie betrieben, wird dies im Online-Bereich schon viel aufwendiger. Datenbankpflege und Fakturierung gehören normalerweise nicht zum Kerngeschäft einer Zeitung oder Zeitschrift. Eine ideale Aufgabe für eine Buchhandlung, die den Inhalt "Buchladen" im Online-Angebot beispielsweise einer Tageszeitung zuliefert - möglichst im Layout des jeweiligen Dienstes. Besonders attraktiv für den Nutzer der Literaturdatenbank ist es, zusätzliche Links auf rezensierte Titel zu finden.
Lehmanns unterhält u.a. Kooperationen mit:
http://www.berlinonline.de - Online Service von Berliner Zeitung, Tip, Berliner Kurier
http://www.tagesspiegel.de - Online Service des Berliner Tagesspiegel
http://www.goon.de - Online Service des Axel Springer Verlags
http://www.med-online.de - Informationsdienst für Mediziner, Apotheker und Veterinärmediziner
http://www. dv-markt.de - Zeitschriftenabstracts, Stellenmarkt,
Infos für die DV-Welt
VIII. Abrechnungsverfahren und Inkasso
Der verbreitende Buchhandel verfügt über langjährige
Erfahrung mit Abrechnungsverfahren und Zahlungssystemen und bietet
daher gute Voraussetzungen für den Einsatz und das Erproben
von geeigneten Zahlungsmodellen für die Abrechnung elektronischer
Informationen.
Elektronische Zahlsysteme werden im On-und Offline-Bereich schon seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzt, aber immer mit der Maßgabe, daß bei der Lieferung eine persönliche Identifizierung durchgeführt wird (gültige Postadresse, Auslieferungsnachweis).
Weder kommt über die bisher praktizierten Verfahren eine im Zweifelsfall rechtsgültige Bestellung zustande, noch ist das bisher für den Online-Buchhandel ein großes Problem.
Gleichwohl besteht ein großer Bedarf an einem für Kunden und Händler sicheren Verfahren des Austauschs von Informationen, welches über eine bloße Verschlüsselung der Daten (SSL) hinausgehen muß und sowohl für "große" als auch "kleine" Beträge wirtschaftlich betrieben werden kann.
Spätestens der Wegfall einer körperlichen Lieferung
bei elektronischen Produkten verlangt nach einer Regelung zum
Authentifizieren sowohl von Besteller- als auch Anbieterseite.
Ob dies über gängige Passwortmechanismen zufriedenstellend
gelöst werden kann, sei dahingestellt.
Ist die Bestellung erstmal erfolgt, hat der Kunde mittlerweile
bei zahlreichen Online-Bookshops die Möglichkeit, online
den Status des Auftrags zu verfolgen, bis hin zum Tracking der
Sendung, nachdem diese bereits die Buchhandlung verlassen hat.
IX. Ausblick
Der wissenschaftliche Sortimentsbuchhandel geht, glaubt man den allgemeinen Trendmeldungen, schwer(er)en Zeiten entgegen. Solange dem Kunden Waren im klassischen Sinn angeboten werden sollen, gibt es wenig Alternativen zum Vertrieb über die Sortimente.
Aber spätestens bei der Lieferung rein elektronischer Produkte
müssen die Distributionswege überdacht und neu defniert
werden.
Im Rahmen von Global Info - Globale Elektronische und Multimediale
Informationssysteme für Naturwissenschaft und Technik - einem
Förderprojekt des bmb+f, beteiligt sich Lehmanns, übrigens
als einizige Buchhandlung, an den beiden Schwerpunktbereichen
"Metadaten" und "Wirtschaftlichkeitsmodelle"
und versucht, Möglichkeiten sinnvoller Beteiligung auszuloten.
Ein Ziel dieses Förderprogramms ist, wissenschaftliche Information
direkt online am Arbeitsplatz des Endnutzers zur Verfügung
zu stellen.
Die spannende Frage bleibt, ob und wie es dem wissenschaftlichen Sortimentsbuchhandel
gelingen wird, auch in der "schönen neuen elektronischen
Welt" einen sinnvollen Beitrag zu leisten.
Volker Thurner
Lehmanns Fachbuchhandlung, Berlin
http://www.lob.de
thurner@lehmanns.de