Karl Wilhelm Neubauer
Die technische Entwicklung geht bekanntlich sehr rasch voran und
beschleunigt sich immer mehr. Die Entwicklung der Märkte,
der menschlichen Organisation, der auf dem Markt durchsetzungsfähigen
Produkte, neuer Anbieterstrukturen und Mitspieler vollzieht sich
hingegen oft vergleichsweise langsam. Dies zeigt sich auch bei
diesem vor 6 Jahren erstmals und heute zum vierten Mal durchgeführten
Kolloquium. Einerseits hat sich seit damals auch auf dem Markt
einiges bewegt. Andererseits aber haben sich die seit langem angekündigten
und erwarteten neuen Strukturen, neuen Rollenverteilungen der
Hauptakteure, neuen Player im Bereich der elektronischen Informationsversorgung
noch längst nicht grundlegend positioniert. Dies gilt sowohl
für die elektronische Informationsversorgung selbst, wie
auch den Übergang von gedruckter zu elektronischer Information.
Es gibt viele Ansätze, aber viele Bereiche sind letztenendes
noch nicht über das Teststadium hinausgekommen. Neue Techniken
sind hinzugekommen, vor allem in den letzten Jahren die großen
Internet-Suchmaschinen mit neuen z.T. kommerziell tätigen
Dienstleistern. Die Verlage ringen aber immer noch um die besten
Strategien zur Sicherung ihrer Umsätze und Gewinne beim Übergang
auf die elektronische Information. Die Bibliotheken haben noch
längst nicht das Dienstleistungsspektrum und die dafür
erforderliche Kooperation erreicht, die vor 6 Jahren bereits diskutiert
und mit eindrucksvollen Szenarien entwickelt wurden. Die virtuelle
Bibliothek, die natürlich nicht nur aus Bibliotheken im traditionellen
Sinn bestehen kann, ist in vielen Ländern im Rahmen großer
Programme in Bearbeitung, natürlich auch in Programmen der
Europäischen Union. Fehlt es hier häufig noch an der
erforderlichen nationalen Kooperation, so fehlt weitgehend der
große Wurf der letztendlich anzustrebenden internationalen
bzw. weltweiten Kooperation im Zeitalter der weltweiten Netze.
Die offene Struktur von Internet hat eine weltweite wissenschaftliche
Kommunikation in früher unerwartetem Ausmaß angeschoben,
aber gleichzeitig auch gezeigt, daß für qualifizierte
Information und Kommunikation noch ein großes Bündel
an Problemen zu lösen sein wird und immer neue Anforderungen
erwachsen. Andererseits ist die gute alte CD-ROM, das Thema des
ersten Kolloquiums, immer noch nicht tot. Erstaunlicherweise werden
an Universitäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen
immer noch große CD-ROM-Netze unterhalten.
Die früher von vielen Propheten erwartete mehr oder weniger
redundanzfreie Datenhaltung auf weltweit agierenden Hosts ist
nicht eingetroffen. Im Gegenteil, parallel zu den großen
Hosts und den vielen öffentlich zugänglichen Servern
in der Welt werden viele Daten der wissenschaftlichen Information
ganz bewußt auch lokal oder regional gespeichert, um sie
in die jeweilige Umgebung besser einbinden zu können und
der lokalen bzw. regionalen Gestaltung besser zur Verfügung
zu stellen.
In den letzten Jahren ist - vor allem angeregt durch die Einsatzmöglichkeiten
der großen Suchmaschinen - die Diskussion der Metadaten
zur besseren Auffindbarkeit von Daten und Dokumenten im Internet
auf breiter Ebene in Gang gekommen. Früher galt dieses Thema
weitgehend als Reservat der Bibliothekare. Nun waren es gerade
Informationsindustrie, Verlage und Fachgesellschaften, die diese
Problematik im Hinblick auf eine vernünftige Wiederauffindbarkeit
der Daten im Internet in den Vordergrund gestellt haben. Eine
einigermaßen einsatzfähige und tragfähige Basis,
die sich schon weltweit als Standard durchgesetzt hätte,
gibt es auch hier noch nicht.
Fortschritte in der praktischen Realisierung sind inzwischen bei
den E-Journals, bei den elektronischen Zeitschriften, erkennbar.
Große wissenschaftliche Verlage bieten in der Zwischenzeit
große Pakete elektronischer Zeitschriften, die bisher nur
gedruckt vorlagen, den Bibliotheken und der Scientific Community
an. Aber auch hier handelt es sich vorerst noch um ein Abtasten
des Marktes. Wie der Zeitschriftenmarkt in 5 bis 10 Jahren aussehen
wird, ist heute immer noch schwer vorauszusagen. Die Diskussion
über die kommerzielle Herstellung von Zeitschriften und das
Angebot von Zeitschriften und Zeitschriftenartikeln über
das Internet durch die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen
selbst ist inzwischen differenzierter geworden. Es ist deutlich,
daß es hier wohl kein Entweder-Oder, sondern ein Miteinander
geben wird.
Auch der in den letzten Jahren heiß erwartete Einsatz von Multimedia in der Wissenschaft kommt nur schwer voran. Die Herstellung guter Multimedia ist sehr teuer und aufwendig. Das kommerzielle Marktpotential dafür ist noch wenig bekannt. Bei den daraus entstehenden Risiken tuen sich die Anbieter noch schwer.
In Anbetracht der immer langsam mahlenden Mühlen der Gesetzgebungsmaschinerie und der gerade bei elektronischen Medien besonders ausgeprägten internationalen Verflechtung ist es vielleicht am wenigsten verwunderlich, daß die Neugestaltung des Urheberrechts noch erhebliche Anstrengungen erfordert. Daran wird aber national, in der Europäischen Union und weltweit hart gearbeitet. Darum gibt es durchaus Unterschiede im Fortschritt der gesetzlichen Regelungen in einzelnen Ländern, gerade auch im Vergleich zu den USA.
Dieser kurze Überblick sollte nur deutlich machen, daß
die in dem heute beginnenden Kolloquium angesprochenen Themenblöcke
einen hohen Aktualitätsgrad haben und einige der Themen,
über die wir bereits vor sechs Jahren diskutiert haben, trotz
teilweiser großer Fortschritte immer noch hohe Aktualität
besitzen. Es ist nach wie vor viel zu tun. Packen wir's an.