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Dokumentenbestellungs- und Lieferungssysteme in Europa

Projekte der Europäischen Kommission Dienstleistungen, Bedingungen und Preise

Bill Tuck


Einführung

In diesem Kontext bedeutet elektronische Dokumentenlieferung die Lieferung von Zeitschriftenartikeln als digitalisierte Seitenabbildungen, entweder von gespeicherten Artikeln auf einer Datenbank oder durch Einscannen bei Bedarf. Der allgemeinere Fall, wo die Dokumente bereits in elektronischer Form erstellt wurden und geliefert werden - z.B. als SGML oder HTML oder als PDF Dateien - wird hier außer acht gelassen, denn wir gehen davon aus, daß diese Thematik im Themenbereich der elektronischen Zeitschriften und des elektronischen Verlegens behandelt wird. Wo der Punkt ist, an dem die beiden ineinander übergehen, kann natürlich diskutiert werden.

Innerhalb des angegebenen Bereiches werden z.Zt. sechs Projekte von der Europäischen Kommission innerhalb des Bibliothekprogrammes gefördert. Diese sind: EDIL, EURILIA, DECOMATE, DALI, FASTDOC und AIDA. Ausführliche Beschreibungen der einzelnen Projekte sind in der Fachliteratur erhältlich. Mein Ziel ist es hier, die wichtigsten Entwicklungslinien unter Hauptschwerpunkten zusammenzufassen und zu versuchen, sie im globalen Zusammenhang zu analysieren. Die technischen Probleme sind mittlerweile im Großen und Ganzen gelöst. Übrig bleiben die allgemeineren Probleme der Wirtschaftlichkeit, der Dienstleistungsbedingungen, der Preisgestaltung, der Verläßlichkeit usw. Der folgende Vortrag versucht zu analysieren, was wir von den Projekten in diesen Bereichen gelernt haben und welche Fragen noch einer Antwort bedürfen.

1. Lieferwege

Es gibt eine Vielfalt möglicher Lieferwege, um Dokumente zu übertragen. Diese umfassen Fax, e-mail, oder die direkte Dateiübertragung (FTP). Im allgemeinen umfaßt der Weg vom Dokumenten-Server zum Endnutzer eine Abfolge verschiedener Arbeitsgänge: Von der e-mail zur Fax oder Dateiübertragung, zum Beispiel, oder von der Dateiübertragung zur e-mail und dem Ausdruck. Nur im Falle einer direkten Lieferung zum Arbeitsplatz des Nutzers (zum Beispiel über eine World Wide Web Oberfläche) könnte die Lieferung in einem einzigen Arbeitsgang erledigt werden. Aus verschiedenen Gründen ist diese Variante in den gegenwärtigen Projekten nicht enthalten. Aber wir wissen, daß sie aktiv von verschiedenen Gruppen untersucht wird.

Das EDIL-Projekt entschied sich dafür FTAM, das Übertragungsprotokoll von OSI, als die Hauptmethode zur Übertragung von Dokumenten zwischen einem Netzwerk nationaler Schaltstellen zu nutzen. Aus pragmatischen Gründen wurde die ursprüngliche Gestaltung durch das Internet- FTP komplettiert. FTAM ist bereits zwischen einigen Institutionen getestet worden. Aber die Verfügbarkeit der Software und die Probleme bei ihrer Konfiguration auf verschiedener Hardware haben diese Entwicklung begrenzt. Die Methode, die für die Dokumentenübertragung von der EDIL-Schaltstelle zum nationalen System und weiter zur Nutzer-Bibliothek gewählt wurde, konnte jeder Teilnehmer (INIST, PICA, BLDSC und UB-TIB) selbst entsprechend der eigenen nationalen Grundsätze festlegen. So entschieden sich PICA, INIST und UB-TIB, für die Nutzung von FTP (zu einem ausgewählten Arbeitsplatz in der Bibliothek des Kunden) wogegen BLDSC X.400 nutzt (wieder zur Bibliothek des Kunden).

Die Frage, ob e-mail oder FTP der bessere Weg zur Übertragung von Dokumenten (die notwendigerweise große Dateien von mehreren Megabites sind) ist, wird immer noch diskutiert. Wir hoffen, daß eines der Ergebnisse von EDIL ein besseres Verständnis dieses Problems sein, und gleichzeitig verläßliches statistisches Material zu Fragen wie Übertragungsmenge und Zuverlässigkeit liefern wird. In beiden Fällen dient das Internet als Träger, genutzt wird die sogenannte RFC1006 Protokoll Oberfläche im Fall von FTAM, und X.400.

Im Gegensatz zu EDIL stützt sich FASTDOC auf das konventionellen Group3-Fax über normalen Telefonverbindungen. Diese Technologie nutzt konventionelle Faxmodems, die direkt mit einem vernetzten Standard PC verbunden sind, um einen Fax-Server zu schaffen. Mehrere solcher Server, jeder mit mehrfacher Fax-Sendemöglichkeit, können an ein Local Area Network (LAN), zusammen mit der Dokumentenspeicherungseinheit und einer Verwaltungseinheit, angeschlossen werden. Diese Technologie ist gründlich getestet und ziemlich robust und hat sich als eine sehr effiziente Methode für die Dokumentenlieferung erwiesen. Die Druckqualität moderner Einfachblatt-Faxmaschinen ist sehr hoch. Der einzige offensichtliche Nachteil sind die relativ hohen Kosten internationaler Telekommunikationsverbindungen.

Sowohl EURILIA als auch DECOMATE entstanden aus dem MERCURI-Projekt, das an der Carnigie Melon University begonnen wurde. Als Teil dieser Arbeit wurde ein Protokoll zur Dateiübertragung, welches auf FTP basiert, entwickelt, um die Verbindung für die Dokumentenlieferung zwischen Server und Client zu optimieren. Im Fall von EURILIA war die ursprüngliche Zielsetzung, Group-3 und Group-4-Faxmaschinen über internationale Telefonverbindungen (sowohl ISDN als auch POTS) zu benutzen. Mit der schnellen Herausbildung der Internetdienste in Europa wurde dies durch eine übliche TCP/IP-Verbindung mit einem extra eingerichteten Protokoll für die Datenübertragung als Dokumententräger ersetzt. Diesbezüglich verfolgt auch DECOMATE denselben Ansatz.

Im Gegensatz zu all den bisher genannten Beispielen, ist AIDA nicht auf elektronische Lieferung ausgerichtet, sondern setzt entweder die Nutzung der konventionellen Post oder von Fax voraus. AIDA beschäftigt sich mit den detaillierten Verfahrensweisen der Verwaltung von Dokumentenbestellungen. Da ebenfalls angestrebt war, die Fernleihe von Monographien einzuschließen, liegt der Schwerpunkt nicht bei der Lieferung selbst, sondern bei den Kontrollmechanismen.

Das DALI-Projekt berücksichtigt, daß es letztendlich der Nutzer ist, der entscheidet, wie er seine Dokumente erhalten möchte, und daß mehrere verschiedene Transportwege notwendig sein werden, die natürlich zum Teil auch von der Art des Materials abhängen. Indem man die Kontrollmechanismen für e-mail (X.400 oder MIME/SMTP), Fax, FTP oder Post alle auf die selbe Weise vollzieht, kann die große Komplexität, die durch die vielen verschiedenen Liefertechnologien entsteht, reduziert werden.

Was kann nun, nach all diesen Experimenten mit der Übertragung relativ großer Dateien, über den "besten Weg" der Dokumentenlieferung gesagt werden? FTP funktioniert gut, ist aber nicht absolut zuverlässig. Die X.400 e-mail ist sehr zuverlässig, aber die Anfangskosten sind sehr hoch und relativ wenige Organisationen der Kunden haben eine x.400 Service eingerichtet. Fax ist billig und weit verbreitet, aber die Qualität des Drucks kann manchmal Wünsche offen lassen und die Kosten für internationale Verbindungen können hoch sein (im Verhältnis zum Internet).

MIME/SMTP e-mail wird als der günstigste Kompromiß für die Dokumentenübertragung genannt. Im Gegensatz zur X.400 e-mail sind die Installationskosten niedrig und sie ist schon sehr weit verbreitet. Die Software ist heutzutage sehr zuverlässig und es gibt kaum Zweifel, daß sie die Grundlage für einen effektiven Dokumentenlieferdienst bieten kann. Im Gegensatz zum Fax ist sie nicht auf eine relativ niedriger Auflösung der Abbildungen beschränkt. Verschiedene experimentelle Dienste, die auf MIME basieren, befinden sich zur Zeit in der Planungsstufe (einige innerhalb des britischen FIGIT-Programms).

2. Lieferung und Endnutzerzugriff

Die Lieferung zur Bibliothek des Kunden ist die eine Sache, aber die endgültige Lieferung zum Endnutzer eine andere. Mehrere Strategien werden hier angewendet. Dokumente (zumindest die Art von Dokumenten, um die es hier geht) beginnen und enden normalerweise auf Papier. Die Frage des Drucks von Dokumenten scheint im allgemeinen jedoch vernachlässigt zu werden. Zum Teil, weil man voraussetzt, daß dies Sache des Nutzers (oder der Bibliothek des Nutzers) ist, diese Tätigkeit auszuführen. Sowohl EDIL als auch FASTDOC basieren grundsätzlich auf Papier-zu-Papier-Systemen (oder zumindest Lieferung in Papierform) und sind deswegen davon abhängig, dem Endnutzer eine Kopie auf Papier zu liefern. Innerhalb von EDIL gibt es zwei Ansätze: der erste geht davon aus, daß die Bibliothek des Kunden das Dokument ausdruckt und es dann mit Hilfe der Hauspost dem Nutzer zustellt (oder es für die Sammlung markiert). An anderen Institutionen (so wie an den mit PICAs RAPDOC-Diensten verbundenen) wird die ARIEL-Software genutzt, die von RLG in den Vereinigten Staaten entwickelt wurde. Dies bedeutet im allgemeinen, daß das Dokument in der Bibliothek des Kunden gedruckt und dann per Post an den Endnutzer geschickt wird. Bei BLDSC erfolgt der Endtransport von der Bibliothek zum Kunden per FTP zu vernetzten Druckern (die in der Lage sind, komprimierte Image-Dateien zu lesen), die sich irgendwo auf dem Universitätscampus befinden und eine Papierkopie "in die Nähe des Schreibtisches" liefern. Bei FASTDOC könnte prinzipiell jedes Faxgerät für den selben Zweck genutzt werden.

Dokumentenlieferung zum Computer des Endnutzers ist natürlich die von allen bevorzugte Lösung (zumindest wird das behauptet). Das Problem dabei ist, daß es schwierig ist, die Zustimmung der Verleger für diese Vorgehensweise zu erhalten, da diese eine unkontrollierte Vervielfältigung der digitalen Version befürchten. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem es bessere Schutzmechanismen geben wird, wird dies ein schwieriges Problem bleiben, zumindest für konventionelle Dokumentenlieferdienste. Im Gegensatz dazu haben allerdings einige Verleger damit begonnen, ihre Veröffentlichungen direkt anzubieten. Entweder als PDF oder als Postscript-Dateien, die auf einem Web-Server verfügbar gemacht werden und unter Standard Web-Brouser Software gelesen werden können. Hierbei handelt es sich natürlich um eine Form des elektronischen Verlegens und nicht der Dokumentenlieferung, wie wir sie definiert haben. Aber natürlich werden solche Dienstleistungen einen wesentlichen Einfluß auf die Dokumentenlieferdienste haben. Obwohl die gegenwärtige Verfahrensweise ist, den Abonnenten die Zeitschriften entweder auf der Basis eines Abonnements für die Institution oder für das Individuum zu überlassen, ist es doch nur ein kleiner Schritt bis zur Anbietung eines "Dokumentenlieferdienstes", bei dem einzelne Artikel gegen eine bestimmte Gebühr bei Bedarf geliefert werden. Die Technologie ist in beiden Fällen fast dieselbe. Genau dies ist der Punkt, an dem das elektronische Publizieren einen schwerwiegenden Einfluß auf traditionelle Bibliotheksdienste haben könnte.

3. Dokumentenbestellung

Das ILL (Inter-Library Loan) Protokoll (ISO 10160/1) wurde ursrünglich als ein Zusammenfassung formaler Abläufe für die Verwaltung von Fernleihbestellungen (sowohl Bücher als auch Zeitschriftenartikel) angesehen. Es war zuerst als Teil des ION-Projekts (auch mit Finanzierung durch die Europäische Kommission) eingesetzt worden. Für die Zeitschriftenartikel, die im Wesentlichen nicht zurückgegeben werden müssen, kann die Verfahrensweise vereinfacht werden. Aus diesem Grunde haben gegenwärtige Projekte zur Dokumentenlieferung Elemente von ILL als Teil der Verfahrensweisen für die Dokumentenbestellung und Kontrolle aufgenommen.

EDIL (in dem mehrere der ehemaligen ION-Partner mitarbeiten) benutzt das ILL-Bestellformular, um die Bestellung vom Kunden oder der Bibliothek des Kunden zum Anbieter zu übertragen. Als eine EDIFAKT Nachricht kann dies entweder mit SMTP oder der X.400 e-mail gesendet werden. Auf dieselbe Weise werden die ILL Informationen "shipped" - abgesendet - und "unfilled" - nicht erfüllbar - als grundlegende Kontrollmechanismen genutzt.

Die Verbindung von ILL mit nationalen Dokumentenbestellsystemen ist nicht ganz so einfach, da erst wenige der Partner ILL für ihren internen Gebrauch nutzen. Im Falle von BLDSC wurde eine shell um das ursrüngliche ART-System gebildet, die es ermöglicht, ILL-Bestellungen von den Partnern aus dem EDIL-Projekt in das ART-Format umzuformatieren (und auch umgekehrt). Diese werden mit e-mail (entweder SMTP oder X.400) übermittelt. Ähnliche Mechanismen ermöglichen auch die Konvertierung von Statusnachrichten von ART in die entsprechenden ILL-Formate.

Die Dokumentenbestellung in FASTDOC wird mit einem STM-System, das vom FIZ bereitgestellt wird, ausgeführt. Normalerweise wird ein Nutzer auf einem STN-Host eine Recherche durchführen. Der Nutzer hat die Möglichkeit, die entsprechenden gewünschten Dokumente bei mehreren Anbietern zu bestellen. Die Bestellungen, die an Beilstein (und FASTDOC) gehen, werden vor der Absendung gesammelt (durch X.400 e-mail) und dann an das bestellungsverarbeitende System von FASTDOC geschickt. Als alternative Möglichkeit kann der Besteller auch eine Dokumentenbestellung in standardisierter Form auf einem PC zu erstellen und sie direkt über einen Zugriff durch Remote Login über eine Modemverbindung zu FASTDOC senden. In keinem der beiden Fälle wird momentan ein ILL-Format benutzt.

In EURILIA und DECOMATE erfolgt die Dokumentenbestellung durch einen direkten Zugriff auf die Dokumentendatenbank über die Client/Server Verbindung. Es ist also in diesem Fall nicht notwendig, eine komplexe ILL-Struktur zu haben, da die notwendigen Kontrollen in das Client/Server System eingebaut sind. Um Material von anderen Dokumentendatenbanken zu erhalten, wird gegenwärtig ein Bestellmechanismus auf der Basis von SR/Z39.50 (V3) erstellt. Dieser wird die Mögoichkeit für die direkte Betellung eines Dokuments innerhalb einer Recherche bieten, die auf Z39.50 basiert.

Obwohl die Z39.50 Bestellung ein leistungsfähiges neues Hilfsmittel für die Dokumentenbestellung ist, kann sie nicht in allen Fällen angewendet werden. Viele Bestellungen basieren immer noch auf Informationen des Kunden statt auf einer Recherche. In solchen Fällen ist der ILL-Mechanismus besser geeignet. Untersuchungen, die kürzlich von der Nationalbibliothek Kanadas durchgeführt wurden, haben dazu beigetragen, diese doch sehr unterschiedlichen Rollen der zwei Protokolle zu erkennen (1).

Die Dokumentenbestellung direkt über das World Wide Web ist natürlich der logische Weg, dem Endnutzer zu gestatten, Bestellungen direkt auszuführen, indem er die entsprechenden "Formulare" benutzt. Hinter dieser Oberfläche kann dann die Bestellung entweder als eine ILL-Bestellung oder als Z39.50 gesendet werden. In vielen Fällen jedoch wird auch ein eigenes oder lokales Protokoll verwendet. Dies trifft zum Beispiel auf den Discovery Dienst der British Library zu, wo ein Web Client den Zugang zu einer Recherche und Bestellfunktion, basierend auf der Datenbank von Artikeleinträgen Inside Information, anbietet.

4. Speicherung von Artikeln

Mehrere Studien haben gezeigt, daß die Nutzungsrate von Zeitschriften im allgemeinen sehr niedrig ist. Wenn 80% der Bestellungen mit etwa 20% der Zeitschriftenartikel erfüllt werden können, ist es vernünftig, nur diese 20% stark genutzten Titel elektronisch zu speichern. Aber selbst dann kann es sein, daß nur 20% der eigentlichen Artikel genutzt werden und von denen, die bestellt wurden, werden vielleicht nur 20% ein weiteres Mal bestellt. Diese hohe Anzahl von Redundanz weist darauf hin, daß elektronische Speicherung im großen Stil im Moment für größere Dokumentensammlungen nicht ökonomisch sein kann. Obwohl sich im Zuge der sinkenden Kosten für die Technologie und gleichzeitig steigenden Arbeitskosten diese Einschätzung ziemlich schnell verändern kann.

Um die Machbarkeit elektronischer Dokumentenspeicherung einzuschätzen ist die Frage des Umfangs sehr wichtig. Eine der großen Anbieterbibliotheken, wie das BLDSC (British Library Document Centre), arbeitet mit einer Sammlung von mehr als 50.000 laufenden Titeln. Sogar die Sammlung der meistgenutzen Titel, die in Inside Information enthalten ist, umfasst 10.000 Titel. FASTDOC und DECOMATE dagegen basieren auf Sammlungen von weniger als 200 Titeln.

Im EDIL-Projekt ging man deshalb davon aus, daß normalerweise die Artikel bei Bedarf eingescannt werden (außer wenn es sich um Material aus dem Teil der Sammlung handelt, der schon elektronisch gespeichert ist). Eine Direktverbindung zu einem elektronischen Archiv wird nicht vorausgesetzt und die Artikel, die eingescannt wurden, werden nicht für spätere Wiedernutzung on-line gespeichert. Dies hat natürlich einen Einfluß auf die Lieferzeiten. EDIL geht von einer grundsätzlichen Lieferung innerhalb von 12 Stunden aus. FASTDOC, wo alles elektronisch gespeichert ist, kann dagegen innerhalb von 5 Minuten liefern.

FASTDOC stützt sich auf eine sehr große Dokumentensammlung von mehr als 100 Zeitschriftentiteln, die über 10 Jahre zurückreichen. Sie sind alle auf einem großen optischen Jukebox System (das mehrere Terabites Datenmenge enthält) gespeichert. Diese Datenbank ist über mehrere Jahre hinweg aufgebaut worden, und formale Abläufe für das digitale Scannen der Papierausgaben der Zeitschriften sind entwickelt worden, um die großen Mengen zu bewältigen. Gründliche Qualitätskontrolle ist selbstverständlich während dieser Phase sehr wichtig.

Die Rechtfertigung elektronische Speicherung im Fall von FASTDOC beruht darauf, daß das Material vom Beilstein Institut als Teil der täglichen Arbeit zu chemischen Informationsdienstleistungen sehr intensiv genutzt wird. Das bedeutet, daß die Dokumentenlieferung zu marginalen Kosten geleistet werden kann, was den Kostenfaktor wesentlich besser aussehen läßt, als dies der Fall für größere Lieferbibliotheken wie INIST oder BLDSC wäre, wo eine solche intensive Nutzung nicht möglich ist.

Ein Mittelweg wird von EURILIA und DECOMATE vorgeschlagen. Indem eine sehr kleine Auswahl an Materialien, für die aber ein relativ hoher Bedarf vorausgesehen werden kann, ausgewählt wurde, war es vernünftig, ein "totales Speicherungsmodell" in Betracht zu ziehen. In EURILIAs Fall war dies die Sammlung der wissenschaftlichen Arbeiten der postgradualen Studenten im Fach Aeronautik, wogegen man sich bei DECOMATE für eine kleine Sammlung von (etwa 25) Zeitschriften in bestimmten Sachgebieten von einem großen Verleger entschieden hat.

Das DALI-System soll auf eine sehr "offene" Weise arbeiten, um den Zugriff auf eine Vielzahl verschiedener Datentypen, die von ganz verschiedenen Beständen verschiedener Marineforschungsinstituten erstellt wurden, zu ermöglichen. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf dem Problem, diese Komplexität zu verwalten.

Längerfristig jedoch, wenn Verleger (oder ihre Agenten) sich in Richtung elektronischer Lieferung von abonnierten Zeitschriften hinbewegen, werden die Dokumenten bereits an der Quelle gespeichert werden. Dies ändert die Wirtschaftlickeit der Speicherung beträchtlich. Denn letztendlich muß nur eine Kopie eines jeden Titels zurückbehalten werden - obwohl natürlich Titel, die stark genutzt werden, an mehreren verschiedenen Orten (einschließlich an denen der großen Abonnenten) vorhanden sein müssen. Dies ist so ähnlich, wie das Publizieren auf dem Web heute funktioniert. Wenn man die Kosten des Scannens und Indexierens vermeidet, sollte es möglich sein, die Kosten der digitalen Speicherung entscheidend zu reduzieren, obwohl es möglicherweise die gesamten Produktionskosten erhöhen kann.

5. Standards

5.1. Standards für Dokumentenformate

Egal, ob Dokumente on-line gespeichert werden oder nicht, so sind doch Standards für ihr Format wichtig. Im Fall von EDIL werden die Dokumente im GEDI-Format übertragen. Dies ist ein (nicht ISO) Standard, der von der Group on Electronic Document Interchange (2) entwickelt wurde. Dieser Standard legt das Format des "Headers" fest, der alle wichtigen Informationen über die Bestellung (Kundennummer, Lieferadresse etc.) zusammen mit den bibliographischen Angaben des Dokumentes (Seriennummer, Titel des Artikels, Autor etc.) enthält. Das Dokument selbst ist als mehrseitige TIFF Image-Datei kodiert, die die CCITT Group-4 Kompression benutzt und eine Auflösung von 300 dpi hat. Diese beiden Elemente (der "Header" und das Dokument) können in eine Datei gepackt und mit FTP übertragen werden, oder als einzelne Bestandteile innerhalb einer e-mail (X.400 oder MIME) an den Ort des Kunden gesendet werden.

FASTDOC benutzt Group-3-Fax, welches nur eine Auflösung von 200 dpi unterstützt. Aber das ursprüngliche Einscannen und die Speicherung des Dokuments erfolgen zu der viel höheren Auflösung von 400 dpi. Dies bedeutet, daß vor der Übertragung eine Konversion stattfinden muß (diese ist allerdings im Fall der Konversion von 400 auf 200 DPI ziemlich einfach). Die Speicherformate werden von der FileNet Software bestimmt, die für die Verwaltung des zugrundliegenden elektronischen Archivs genutzt wird. In solchen Systemen werden die bibliographischen Daten im allgemeinen getrennt vom Dokumentenimage gespeichert (normalerweise auf schnell zugreifbaren Magnetbändern), auf die es dann verweist (in Form einer Adresse zum Standort innerhalb der langsameren optischer Speichermedien). Ein ähnlicher Ansatz wird sowohl von DECOMATE als auch von EURILIA genutzt, bei welchen die Datenbanktechnologie auf der Grundlage des ursprünglichen Philips-Megadoc-Systems entwickelt wurde, das danach von DEC erworben wurde.

Für die Dokumentenseite ist der hauptsächlich genutzte Standard TIFF (Target Image File Format), der das Format einer Image-Datei definiert, in dem es eine Gruppe genau spezifizierter Bestandteile prüft, deren Werte wichtige Informationen wie Seitengröße, Auflösung (Punkte per inch, dpi), Farbkodes, Kompressionstyp (CCITT, JPEG) usw., angeben. Die Informationen zur Farbe und den Grautönen ermöglicht seine Nutzung für viele andere Arten von Daten. EDIL, ELISE, FASTDOC und EURILIA nutzen alle TIFF (obwohl nicht unbedingt ausschließlich) als den Kodierungsstandard für ihre Dokumente.

Einige Verleger oder Verlegerkonsortien (sowie ADONIS) haben auch Gp4-Fax oder TIFF als grundlegendes Dokumentenformat gewählt. Das Europäische Patentbüro beispielsweise sendet sein Material nach wie vor in einem Format, das eigentlich ein kodiertes Faxformat ist. Zunehmend jedoch bewegt man sich in Richtung Adobe's PDF (Portable Document Format) welches die bequemste Methode für das Dokumenten "dencoding" für elektronisches Publizieren ist. PDF ist viel kompakter als TIFF (oft um den Faktor 10). Die Dateien sind voll suchbar, und die Existenz von PDF Browsern macht den Client-Zugang sehr leicht. Normalerweise werden sie von den originalen Postscript-Dateien entwickelt, was natürlich nur Verleger oder ihre Agenten tun können. Eine Möglichkeit, die getestet wird, ist die Fähigkeit des "Capture" Produkts von ADOBE Seitenimages in einer Form von PDF zu konvertieren. Um die Größe zu verringern, kann es die Datei auch automatisch in OCR umwandeln, um einen maschinenlesbaren Text zu erhalten. Während es keine technische Schwierigkeit dabei gibt, wenn Lieferibliotheken diese Software im Rahmen eines elektronischen Dokumentenlieferdienstes benutzen, so widerspricht die Nutzung doch mit größter Wahrscheinlichkeit dem Urheberrecht.

5.2. Standards für die Dokumentenspeicherung

Standards für Dokumentendatenbanken sind weniger eindeutig. Der übliche Ansatz ist, ein System für die Verwaltung der bibliographischen Einträge unabhängig vom Dokumentenimage anzubieten. Der Eintrag enthält dann eine Verbindung zum Standort der Imagedatei. Die meisten Systeme, die von den gegenwärtig laufenden Projekten genutzt werden, arbeiten auf der Basis von selbstentwickelten Lösungen (FileNet, KWIK, etc.).

Dies wird sich wahrscheinlich in Hinblick auf die gegenwärtige Entwicklung in Richtung elektronisches Publizieren nicht verändern. Die Software für Web-Server wird vielleicht den Verlegern eine fertige Lösung für die Verwaltung von Datenbanken anbieten und kann so zu einem defacto Standard führen. Andererseits gibt es, im Gegensatz zur Client-Software, keinen wichtigen Grund für Verleger, irgendeinen bestimmten Stadard auzunehmen, anstatt einen solchen zu wählen, der ihnen das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bietet.

5.3. Standards für die Dokumentenbestellung

Dieser Bereich ist im Wesentlichen schon im vorhergegangenen Abschnitt zur Dokumentenbestellung besprochen worden. Die wichtigsten Protokolle sind SR/Z39.50, in dessen dritter Version ein Bestellelement bereits enthalten ist, und das allgemeinere ILL Protokoll. Ein Großteil der gegenwärtigen Anstrengungen im Bereich der Dokumentenliefersysteme beschäftigt sich mit der Entwicklung von Oberflächen für diese Standards. Diese kann dann sicher einen Mechanismus bieten, über den ein bestimmter Grad an Interoparabilität erreicht werden kann. Es ist dagegen unwahrscheinlich, daß die selbstentwickelten Lösungen, die bereits genutzt werden, jemals komplett durch ILL ersetzt werden. Das liegt einfach daran, daß die Vielzahl der Möglichkeiten der eigenen Systeme nur schwer von einem standardisierten Protokoll zu erreichen sein wird.

ILL wird allgemein als eine Gruppe von EDIFACT-Nachrichten und Verfahrensweisen eingesetzt. Dies bindet es sehr günstig in die reichen Bestände der EDI-Domäne ein. In dem Maße, in dem ein Großteil der kommerziellen Welt EDI als die Standardmethode für den Austausch von Wirtschaftsdaten verwenden, werden verwandte Dienstleistungen wie e-mail und Datenbankmanagement-Software billiger. Dies wird im Gegenzug die Kosten für die Einführung von EDI (und EDIFACT), innerhalb der Bibliothekdienste für solche Aktivitäten wie Buchbestellungen oder ILL, verringern.

6. Wirtschaftliche Fragen und Urheberrecht

Die Wirtschaftlichkeit von Dokumentenlieferdiensten ist eine grundlegende Voraussetzung für ihre endgültige Durchsetzung. Sie lohnen sich nur, wenn die Wirtschftlichkeit gegeben ist (oder wenn die damit verbundenen Vorteile die Kosten aufwiegen). Allumfassende Wirtschaftlichkeitsstudien gibt es erst in Ansätzen, und es ist schwierig, sie auf den gegenwärtigen experimentellen Systemen, die noch relativ wenig genutzt werden, durchzuführen. Nützliche quantitative Daten sind allmählich aus dem FASTDOC-Projekt erhältlich, und einige interessante allgemeine Analysen für den speziellen Fall von Aerospace Informationen wurden von EURILIA durchgeführt.

Es gibt zwei wesentliche Fragen im Bereich der Wirtschaftlichkeit von Dokumentenlieferdiensten: Was kostet es, den Service durchzuführen? und welche Tantiemen werden die Verleger fordern? Es ist nicht so schwierig, das erste zu errechnen. Allerdings existieren erst wenige elektronische Lieferdienste lange genug (und in einer realistischen Größenordnung), um verläßliche Kosten zu erhalten. Die gegenwärtige Gruppe von Projekten soll dazu beitragen, unsere Informationen in diesem Bereich zu verbessern. Was die Tantiemen betrifft, so hat sich bisher noch kein Konsens bezüglich des Verhältnisses der Abonnements- und der Tantiemenhöhe herausgebildet. Gegenwärtig werden Verhandlungen mit Verlegern im Rahmen des britischen FIGIT-Programms geführt, und es eine wichtige nationale Lizenzvereinbarung mit einer Gruppe der wichtigsten wissenschaftlichen Verleger konnte erreicht werden. Das allgemeine Prinzip besteht darin, eine gerechte Zahlung als Ausgleich für den Verlust durch sinkende Abonnements der gedruckten Zeitschriften zu erzielen. Es ist aber nicht leicht einzuschätzen, wie Dokumentenlieferdienste in dieses Modell passen. Jedoch ist klar, daß eine zu hohe Tantiemengebühr die Nutzer zwingen wird, unterschiedliche Methoden zu nutzen und erneut auf den Photokopierer zurückzugreifen (mit dem daraus resultierenden Verlust von Einnahmen für die Verleger).

Die Frage des Urheberrechts ist natürlich eine grundsätzliche für die Durchführbarkeit dieser Art von Dienstleistungen. Die Verleger zögern verständlicherweise, einen absolut offenen Zugriff auf das zu gestatten, was sie als ihr eigenes Material betrachten, sogar wenn, wie einige Universitäten jetzt schon argumentieren, der Besitz beim Autor oder seiner Institution liegen sollte. Dies ist sicher keine Frage, die innerhalb der gegenwärtigen Runde von Experimenten im Bereich der Dokumentenlieferdienste gelöst werden kann.

Trotz all der offensichtlichen Schwierigkeiten gibt es Fortschritte. Beilstein (FASTDOC) hat es nach harten Verhandlungen geschafft, Übereinkünfte mit etwa 50% der Verleger zu erzielen, deren Zeitschriften sie abonnieren. Die Partner im Bereich des Dokumentenlieferdienstes von EDIL (BLDSC und INIST) gehen taktisch an diese Fragen heran und tolerieren für diese Testversuche eine bestimmte Menge von elektronischer Lieferung. Beide operieren entsprechend der Regeln des fair dealing, wenn sie die akademische Welt beliefern und was die die Nutzung der Artikel strikt begrenzt (z.B. ist mehrfaches Kopieren verboten). Aus diesem Grunde konnte der ursprüngliche Grundsatz, nur auf Papier gedruckte Dokumente zu liefern, ein wenig gelockert werden, indem die Sorgen der Verleger, daß die elektronische Lieferung an den Endnutzer in einem Mißbrauch des Systems resultieren könnte, beschwichtigt wurden.

Auf lange Sicht hin muß eine Form der Lizensierung und Zahlung eingeführt werden. Deswegen sind alle Projekte innerhalb des gegenwärtigen Programmes auch mit der Gestaltung und Entwicklung eines passenden Abrechnungssystems befasst. FASTDOC hat bereits einen ausgeklügelten Mechanismus zur Rechnungsstellung entwickelt, und dies bei EURILIA und DECOMATE eines ihrer zentralen Gestaltungsmerkmale ist. Im Moment ist EURILIA auf Materialien beschränkt, die nicht dem Urheberrecht unterliegen. DECOMATE dagegen hat einen großen Verleger (Elsevier) als Partner, um geeignete Sicherheits- und Kontrollmechanismen in diesem Bereich zu testen. AIDA befasst sich nicht direkt mit dem elektronischen Kopieren und braucht diese Faktoren deshalb nicht zu berücksichtigen. Ein generelles Problem in diesem Bereich besteht in der europäischen Harmonisierung der Urheberrechtsgesetzgebung. Diese ist bereits Gegenstand umfangreicher Diskussionen innerhalb der EU und eine Anzahl von Studien sind schon erstellt worden. Trotz der gegenwärtigen Besorgnis kann man mit großer Sicherheit annehmen, daß Lösungen zu diesem schwierigen Problem entwickelt werden. Die Entwicklung in Richtung Übereinkünfte zwischen Verlegern und der akademischen Welt bezüglich der Lizenzvereinbarungen für komplette Standorte ist wahrscheinlich der einleuchtendste Weg, denn er hat das Potential, im Gegensatz zu dem Ansatz "Zahlen pro Nutzung", die Einnahmen der akademischen Verleger im Wesentlichen unbeeinträchtigt zu lassen.

7. Zusammenfassung

Die Projekte, die hier dargestellt wurden, befinden sich in verschiedenen Stufen ihrer Fertigstellung. EDIL, FASTDOC und EURILIA laufen schon am längsten und werden bald abgeschlossen sein. Die vorläufigen Ergebnisse sehen vielversprechend aus. Alle Systeme funktionieren technisch gesehen und haben schon erfolgreich als Beispiele für die Bestätigung des Konzeptes gedient. DALI und AIDA haben ihre Konzeptionsphase abgeschlossen und beginnen jetzt die Umsetzung. Die Anwendung auf die Standorte der Nutzer wird im Verlauf des nächsten Jahres interessante Ergebnisse in den Bereichen des Einsatzes von komplexem Multimediamaterial und umfangreichen ILL-Dienste ergeben. DECOMATE ist der jüngste der Versuche und noch im Frühstadium seiner Entwicklung. Sein Potential, einige der schwierigen Verleger / Bibliotheken / Nutzerbeziehungen zu erhellen, wird sicher mit Interesse verfolgt werden.

Für die Verleger ist die große Frage nicht so sehr, wie sie mit den Lieferbibliotheken und dem elektronischen Dokumentenlieferdienst verfahren sollen, sonder ob und wann sie die elektronische Verteilung von Primärmaterialien, den Zeitschriften selbst, beginnen sollen. Viele Verlage planen solche Dienstleistungen und wir glauben, daß 1996 eine beträchtliche Anzahl von Titeln auf Medien wie dem World Wide Web erhältlich sein werden. Kuzfristig ist es unwahrscheinlich, daß dies einen großen Einfluß auf die konventionellen Dokumentenlieferdienste haben wird. Langfristig jedoch könnte es das Gleichgewicht zwischen Bibliotheken, Verlegern und Autoren auf noch unvorhersehbare Weise verändern.

Referenzen

(1) Fay Turner, "Document Ordering Standards: The ILL Protocol and Z39.50 Item Order", National Library of Canada, Janary 1995.
(2) GEDI (Group on Electronic Document Interchange), "Specification of the GEDI standard for document interchange", GEDI Secretariat, Pica, Leiden.


Sekretariat der Bibliothek der Univeristät Bielefeld