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Hermann Leskien

Dienstleistungen der Bibliotheken bei Zugang und Distribution elektronischer Publikationen

Die Funktionen wissenschaftlicher Bibliotheken bei der Literatur- und Informationsversorgung liegen traditionell in der Ermittlung, Beschaffung, Erschließung, Bereitstellung und Archivierung gedruckter Publikationen. Die elektronischen Medien treten nun hinzu. Es gilt, für sie ein Nutzungsangebot zu entwickeln, das bedarfsgerecht und differenziert ist und das den freien Zugang gewährleistet. So einfach ist die Lage. Um diese neuen Aufgaben indessen angemessen zu erfüllen, scheint bei näherer Betrachtung eine fundamentale Neuorientierung in den bibliothekarischen Funktions- und Organisationsbereichen unvermeidlich. Die Neuorientierung kann nicht darin bestehen, das gesamte bibliothekarische Erbe über Bord zu werfen. Vielmehr sollten die neuen Leistungen aus zwei Wurzeln leben: aus traditionellen Leistungsstärken der Bibliotheken wie aus den innovativen Eigenschaften der neuen Medien. Alleinige und verbindliche Meßlatte bei der Umsetzung ist der Benutzerbedarf.

Angebot
Im Vergleich zu Druckschriften sind elektronische Publikationen durch spezifische Eigenschaften gekennzeichnet. Ich rufe sie in einer kurzen Aufzählung ins Gedächtnis:

  • Eines der herausragenden Merkmale ist die hohe Speicherdichte; faktisch gibt es keine praxisrelevanten Beschränkungen.
  • Kennzeichnend ist ferner, daß Bild- und Toninformationen sowie strukturierte Datenbanken und Fließtext in multimedialen Produkten zusammengeführt werden können.
  • Die Ausgabeformen digitaler Medien sind - bei identischem Inhalt - grundsätzlich beliebig. Informationen nehmen unterschiedliche Gestalt an und werden so unterschiedlich erlebt.
  • Retrieval und Präsentation sind frei gestaltbar und ermöglichen eine benutzerfreundliche Einbindung in die jeweilige lokale Umgebung der Netzdienste.
  • Da Informationen in der Regel sofort beschaffbar sind, ist der Zeitpunkt des Zugriffs frei wählbar.
  • Auf elektronische Publikationen kann über lokale, regionale, überregionale und inter nationale Netzanschlüsse grundsätzlich von jedem Ort aus zugegriffen werden; sie sind also global verfügbar.

    Nachfrage
    Wir erkennen heute, daß uns ein grundlegender Wandel herausfordert. Daher empfiehlt es sich, den Informationsbedarf der Bibliotheksklientel genau zu analysieren. Bereits bei der ersten Reflexion wird klar, daß Aktualitätsgrad, Umfang und Typ der Information sowie präferiertes Medium wechseln.
    Unterschiede, die mit dem jeweiligen Fach zusammenhängen, stehen an erster Stelle. So ist in der Chemie mit seiner kargen Formelsprache ein weltweiter Markt gegeben; die einzelne Informationseinheit ist klein, die Zahl pro Jahr gigantisch, Publikationen veralten schnell. Anders sieht es beim Kunsthistoriker aus, der sich z.B. der Erforschung des bayerischen Rokoko widmet; sein Arbeitsgebiet ist von mehr regionalem Interesse, es dominieren umfangreiche Werke mit Text- und Bildmaterial, der Rückgriff auf ältere Publikatio nen hat einen großen Stellenwert, die Nomenklatur ist nicht genormt.
    Die eben beschriebenen fachlichen Bedürfnisse und Verhaltensweisen werden weiter differenziert, und zwar von Gruppe zu Gruppe, von Zweck zu Zweck. Fachwissenschaft ler haben nämlich andere Informationsbedürfnisse als Studenten; diese wieder andere als Fachfremde oder Berufstätige. Von der Lesepsychologie schließlich wissen wir, daß die Art der Informationsaufnahme durch den Zweck konditioniert ist. Wer einen Roman liest, verhält sich anders als jemand, der ein Faktum nachschlägt.

    Erste Erkenntnisse aus der Analyse von Angebot und Nachfrage
    Aus diesen Überlegungen erwachsen erste Erkenntnisse über wahrscheinliche Veränderungen in den Voraussetzungen bibliothekarischer Arbeit.

    Immaterialität der Informationsübermittlung

    In der Vergangenheit gründete das Ansehen einer Bibliothek wesentlich auf Umfang und Qualität der Buchbestände. Diese Maßstäbe prägten die bibliothekarische Denkweise entscheidend. Bei den elektronisch gespeicherten Informationen dominiert dagegen die Antwort auf die Frage, ob ein Benutzer die von ihm gewünschte Information auf komfortable, effiziente und kostengünstige Weise erhält. Dabei spielt es keine Rolle, in wessen Eigentum sie sich befindet und auf welche Weise der Zugriff erfolgte. Die Leistungsfähigkeit einer Bibliothek ist demnach direkt vom laufenden Aufwand abhängig. Das ist eine fundamentale Änderung.

    Tendenz zur Individualisierung
    Der alltägliche Sprachgebrauch verrät etwas über die traditionelle Art, wie Informationen an den Kunden kommen. Wir sprechen von Literatur- und Informationsversorgung, von Verteilung von Information. In unserem Denken ist also die Idee vom Sender oder Zentrum verankert, von dem aus die Information auf den Weg gebracht wird. Aus der Geschichte der Nachrichtentechnik wissen wir, daß die Entwicklung zu einer immer stärkeren Spezialisierung führt. Der Grund hierfür liegt keineswegs allein in der Spezialisierung der Wissenschaften; er liegt auch im Bedürfnis, aus der Masse an Information das Relevante bequem herauszufinden - eine Anpassung an die Veränderungen des Informationsmarktes also. Diese langfristig gültige Tendenz bekommt nicht nur einen Schub; vielmehr ändert sich die Richtung der Kräfte. Was bisher verteilt, also gleichsam geschoben wurde, wird künftig gezogen. Nicht das Angebot wird dominieren, sondern Nachfrage muß befriedigt werden. Bibliotheken müssen zunehmend Informationen suchen und vermitteln, die oftmals nur ein einziges Mal gestellt werden. In dieser Lage lohnt nur für massenhaft wiederholte Fragestellungen ein Vorhalte-Aufwand.

    Kooperation und Rollendifferenzierung
    Immaterialität und Individualisierung der Nachfrage zwingen zur Zusammenarbeit mit anderen Partnern. Bibliotheken werden mehr als bisher Kooperationspartner suchen müssen. Um guten Service zu bieten, müssen die einzelnen Bibliotheken daher Schwerpunkte bilden. Für einzelne Dienstleistungen wird dies zu Zentralisierungen, für andere zu einem dezentral organisierten Leistungsverbund führen.
    So mag Hochschulbibliotheken die Verantwortung für die Grundversorgung ihrer Nutzerklientel vor Ort zukommen. Die Aufgabe der Langzeitsicherung kann hingegen von anderen Einrichtungen übernommen werden. Ob eine starke Zentralisierung - insbesondere unter Einbeziehung der Bibliotheken anderer Länder oder Kontinente - tatsächlich langfristig ausreichende Sicherheit bietet und ob es für ein Land oder eine Region opportun ist, sich in völlige Abhängigkeit von einer anderen Informationsquelle und von der Unsicherheit der Übertragungswege zu begeben - das sind zwar schwerwiegende Fragen, stehen aber nicht in direkter Abhängigkeit von technischen Zwängen.
    Wie die Entscheidungen auch gewählt werden, in keinem Fall handelt es sich um Einbahnstraßen. Ein Werk, das bei Erscheinen zur Grundversorgung zählte und auf allen Text-Servern der Hochschulbibliotheken auflag, wird nach Abklingen der Nachfrage nur noch auf dem Archiv-Server zu finden sein. Wächst die Nachfrage aus historischem Interesse wieder an, ist es leicht, die Exemplarzahl kurzfristig zu erhöhen, wenn wirtschaftliche Gründe oder der bequemere Zugriff dies nahelegen.

    Wettbewerb
    Bibliotheken werden sich mehr als bisher Wettbewerbssituationen gegenübersehen und auch untereinander stärker in Wettbewerb geraten. Wir müssen nämlich bedenken, daß jede Bibliothek ihren unmittelbaren lokalen Standortvorteil verlieren und nicht mehr monopolistisch über eine garantierte Nutzerschaft am Ort verfügen wird. Denn Bibliotheksleistungen können über große Entfernungen angeboten werden, und nicht nur von Bibliotheken. Das ist vor allem eine Folge kurzer Lieferzeiten, die nicht mehr proportional mit der Entfernung zunehmen. Es war bislang ein charakteristisches und konstituierendes Merkmal von Dienstleistungen, daß ihr Aktionsradius begrenzt war. Dies führte zu räumlich mehr oder minder engen Märkten. Ein billiges Hotelbett in Bielefeld nutzt nichts, wenn ich in Frankfurt übernachten muß. Der effiziente Service in der UB X nützt dem Studenten in der Stadt Y gar nichts. Im elektronischen Zeitalter ist das anders: Lediglich die Leistung zählt. Verlängert führt dies zu einem weiteren Merkmal der Veränderung, der

    Globalisierung
    Der Verlust des lokalen Standortvorteil und die Möglichkeit einer Kooperation über lange Distanzen hinweg bleiben nicht ohne - im wahrsten Sinn des Wortes - weitreichende Folgen. Die Szene ist nun unter anderen Dimensionen zu beurteilen. Alles was wir auf lokaler und regionaler oder nationaler Ebene ersonnen und in die Tat umgesetzt haben, muß unter globalen Aspekten neu überdacht und möglichst auch - zumindest pilothaft - erprobt werden. Intensiv ausgebildet ist dieses Denken eigentlich nur auf dem Gebiet der Formalerschließung, wo jedem Bibliothekar Nutzen und Grenzen der Übernahme von Fremdleistung gut vertraut sind. Mit entsprechendem Zeitverzug haben wir uns auch in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten daran gewöhnt, bibliographische Informationen weltweit anzuzapfen und dem Nutzer zugänglich zu machen.
    Neuland liegt indessen vor uns, wenn wir künftig Volltexte bereitstellen, elektronische Dokumente liefern und archivieren. Globales Angebot, globale Nachfrage, globale Lieferung, globale Kooperation, globaler Wettbewerb. Obwohl qualitativ meist nichts Neues, kommt bedrohlich viel Unbekanntes durch den Sprung in der Dimension aus dem Dunkel. Denn wer im Bibliothekswesen hat schon gediegene Erfahrungen mit der Tele-Kooperation? Was müssen wir ändern, damit die Entfernungen zusammenschrumpfen? Wer diese Fragen nicht löst, ist nicht wettbewerbsfähig und wird gnadenlos den globalen Wettbewerb zu spüren bekommen. Und hier entscheiden nur die Qualität der Leistung und die günstige Preis-Nutzen-Relation.

    Ausgewählte Aktionsfelder
    Im folgenden seien einige Aktionsfelder näher betrachtet, die für Zugang und Distribution elektronischer Medien besonders wichtig sind. Auch in diesem Abschnitt werde ich der Versuchung widerstehen, allzu konkrete Dienste vorzustellen. Ich handle aus Überzeugung so. Denn das Umfeld ändert sich ständig, und wir sollten es fortwährend beobachten und - darauf aufbauend - mit angepaßten Leistungsangeboten experimentieren. Wer heute auf Rezepte wartet, wird geradewegs in die Starrheit geführt und hat damit den Mißerfolg vorprogrammiert.

    Organisationsanpassungen
    Ich möchte prognostizieren, daß die klassischen Aufgaben der Bibliotheken in einer Zeit der Informationsüberflutung eine Renaissance erfahren werden. Die klassische Dreiteilung in Erwerbung, Katalogisierung und Benutzung kann allerdings nicht unverändert aufrecht erhalten werden. Vielmehr sind die einzelnen Funktionsbereiche final auszurichten; sie gewinnen Sinn und Richtung überwiegend aus dieser Perspektive. Die einzelne Bibliothek wird sich daher unvermeidlich in der Situation sehen, ihr Leistungsspektrum zu überdenken und Prioritäten neu zu setzen. Sie muß sich vom Ehrgeiz verabschieden, überall alles machen zu wollen. Innovationen und attraktive Leistungen sind gefragt. Herauszufinden, was benötigt wird und wie es am besten zu präsentieren ist, darin liegt die Aufgabe.
    Nicht zu unterschätzen sind die Veränderungen und Entwicklungsmöglichkeiten, die sich aufgrund von "On-demand-Diensten" ergeben dürften. Wer über Jahrhunderte vom Grundsatz des prophylaktischen Erwerbs lebte, muß radikal umdenken, um Leistungen und dahinterstehende Organisationsformen zu finden, die den neuen Potenzen angemessen sind. Die Unabhängigkeit von Zeit und Raum sollte dabei klugerweise nicht beim Service Halt machen. Denn vielleicht gilt auch für Bibliotheken, daß in etwa 20% der Fälle Arbeitsplätze in Form von Tele-Arbeit mit mehr Effizienz geschaffen werden können. Man denke z.B. an die Arbeitsfelder der speziellen Erschließung und Auskunft, der Vermittlung von Experten oder den Einsatz von freien Korrespondenten.

    Management von Erschließungsbrüchen
    Eine wesentliche Aufgabe ist es, die Informationszugänge zu elektronischen Publikationen bedarfsgerecht aufzubereiten. Diese Aufgaben sind grundlegend neu zu definieren und zu organisieren. Neben die klassischen Erschließungskriterien und -formen treten nun Informationen aus dem Kontext der Beschaffung und hinsichtlich der Konditionen für die Bereitstellung. Sie werden ergänzt durch die Erschließungsinstrumente, die den Dokumenten selbst beigegeben sind. Diese müssen - im Unterschied zu Druckschriften mit den jeweiligen Erschließungsinstrumenten vor Ort in Einklang gebracht werden. Hinzu kommt ihre Einbindung in das Umfeld herkömmlicher Erschließungs- und Informationsinstrumen te (z.B. Fachthesauri, bibliographische Datenbanken, Bibliothekskataloge).
    Die präkoordinierte Harmonisierung der Erschließungswerkzeuge in Form eines konfektionierten Angebots wird jedoch angesichts der verfügbaren Informationsmenge nur selten geleistet werden können. Dies gilt zumindest für jene Fälle, in denen die Informationsbeschaffung auf individuellen Wunsch mit individuellem Profil hin geschieht. Wie bei der bisherigen Informationsvermittlung werden dann lediglich Vermittlungsdienste, aber keine Erschließungsdienste geleistet. Es wird für die Qualität der Bibliotheksleistung sehr darauf ankommen, Sicherheit und Souveränität im Umgang mit den Leit-Informationen der Medien bieten zu können. Hier wird mehr zu investieren sein als in die regelgerechte Erschließung einzelner Informationseinheiten. Sofern dies nicht kooperativ erledigt werden kann, müssen maschinelle Verfahren zum Einsatz gelangen.

    Präsentation
    Ein weites Arbeitsfeld eröffnet sich auf dem Feld sekundärer Hilfsdienste. Denn mit der Übermittlung von digitalen Informationen ist kein Mensch zufrieden. Der große Unterschied zwischen traditioneller und elektronisch basierter Dienstleistung liegt darin, daß ein Buch sich dem menschlichen Auge unvermittelt erschließt. Jede Digitalisierung hingegen bedarf der Umsetzung. Wir haben uns leider daran gewöhnt, dem Benutzer selbstverständlich das abzuverlangen, was die Technik uns Bibliothekaren abverlangt hat. Was machen Sie beispielsweise mit honorigen Emeriti, die Zeit ihres wissenschaftlichen Lebens genügend Personal um sich hatten, um die Beherrschung einer Tastatur nicht lernen zu müssen. Wir würden es uns zu einfach machen, wenn wir darauf hofften, daß dies ein Übergangsproblem ist. Im Sinn der Benutzernähe ist es mehr. Und seien wir ehrlich: An die Schnittstelle Maschine-Mensch haben wir in Bibliotheken nur aus unserem eigenen Blickwinkel gedacht. Hier ist immenser Nachholbedarf, um nicht nur sachgerechten, sondern menschengerechten Service zu bieten. Gott sei Dank, haben führende Informatiker diesen Mangel bereits erkannt und auf ihre Fahnen geschrieben. Unsere Aufgabe ist es, für sie das Pflichtenheft zu formulieren. Die Schnittstelle Maschine-Mensch muß in zweifacher Weise bedacht werden. Der Auftrag sollte - immer das dominierende Nachfrageprinzip im Hinterkopf - in jenen Formen erteilt werden können, die am häufigsten vorkommen, u.a. auch durch natürlichsprachige Interfaces. Andererseits muß der Kunde jene Ausgabeform herstellen oder herstellen lassen können, die ihm die angemessenste scheint.

    Management von Format- und Medienbrüchen
    Man kann davon ausgehen, daß die Nutzung der traditionellen Medien (das ist neben dem gedruckten Wort auch das Fernsehen) zugunsten der elektronischen Informationsnutzung zurückgeht. Für uns bedeutet dies, daß wir den differenzierten Anforderungen auch über Mediengrenzen hinweg nachkommen müssen. Die Digitalisierung der Informationen beschert uns die Freiheit und die Aufgabe, das jeweils am besten geeignete Medium mit der optimalen Präsentation zu wählen.
    Als Folge dieser Forderung sind in Bibliotheken Konvertierungsprogramme und -kapazitäten vorzuhalten; darüber hinaus Kopier- und Druckzentren. Ich persönlich neige nicht zu der Ansicht, daß Bibliotheken große Zentren für die Herstellung von Druck- und anderen Medienerzeugnissen unterhalten sollten. Wirtschaftlichkeitsüberlegungen führen dazu, die Kooperation mit herstellenden Betrieben zu suchen. So kann im Sinn des Outsourcing der technische Apparat, der schnell veraltet und eine hohe Auslastung benötigt, minimiert werden. Zudem ist die Subsidiarität staatlichen Handelns gewährleistet. Zu verlangen ist jedoch ein ausgewogenes Angebot an schnellen und einfachen Ausgabekapazitäten in der Bibliothek mit einem soliden und leistungsfähigen Hintergrund vermittelter Dienstleistung in der freien Wirtschaft.
    Andererseits werden Digitalisierungsfunktionen gefragt sein, was zur Bereitstellung von Scannern und OCR-Programmen sowie zur Beratung über deren Einsatz führen muß. Bibliotheken sollten im Interesse der Nutzer durchaus auch selbst elektronische Publikationen erstellen und anbieten. Vorzugsweise wird es sich um Publikationen des jeweiligen Hochschulstandortes handeln. Zudem werden Bibliotheken - im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten, vesteht sich - eigene Literaturbestände in elektronische Form konvertieren und als Publikationen zur Verfügung stellen. In Frage kommen insbesondere Texte und Spezialsammlungen mit unikalem Charakter, wie z.B. Handschriften, Autographen, alte und wertvolle Drucke, aber auch bestandsgefährdete Materialien. Im Vordergrund steht das Interesse, den Zugang zu Publikationen und Dokumenten aller Art zu verbessern. Denn, wie die Nutzung der Druckschriften zeigt, richtet sich der Informationsbedarf einer Reihe von geistes- und sozialwissenschaftlicher Fachdisziplinen überwiegend auf bereits vorhandene Literaturbestände. Im Regelfall ist der Interessentenkreis derart klein, daß eine Vermarktung nicht wirtschaftlich möglich ist. Damit handelt es sich um eine legitime, ja notwendige und essentielle Aufgabe von Bibliotheken.
    Insgesamt wird die Harmonisierung der Medienvielfalt nicht gelingen, ja vielleicht gar nicht anzustreben sein. Aus dieser Erkenntnis folgt, daß ein wichtiges Ziel unserer Aktivitäten darin liegen muß, Medien- und Formatbrüche zu managen, für den Benutzer überbrückbar zu machen. Um ein Beispiel zu geben: Für eine alte Bibliothek wird es sinnvoll sein, digitale Medien in einem Lesesaal für Handschriften oder für alte Drucke integriert mit anderen Informationsmitteln anzubieten; ein elektronischer Lesesaal könnte nie die gleiche Funktionalität bieten.

    Schluß
    Die Welt der digitalen Medien sieht derzeit sehr unübersichtlich aus, und sie ist es auch. Dennoch läßt sich absehen, daß sich die technischen Neuerungen zwar graduell erheblich, jedoch in der Essenz nicht wesentlich weiterentwickeln werden. Die vor uns liegende Revolution wird es vielmehr auf dem Sektor der Anwendung geben; darüber sind sich die meisten Experten einig. Also auch und insbesondere im Bereich der Bibliotheken, auf unserem ureigenen Wirkungsfeld. Wie bei jeder Innovation, so wird auch bei den digitalen Medien eine alte Regel gelten. Wirkliche Neuerungen kommen erst, wenn die Phase der Spiegelung der bisherigen Gewohnheiten hinter uns liegt. Zum Sammeln von Erfahrungen kann sie jedoch offenkundig nicht übersprungen werden. Nicholas Negroponte, der Direktor des berühmten Media Lab vom MIT, gebraucht ein schönes Bild: "Ein Informations- und Unterhaltungsangebot, das das neue Medium wirklich ausnutzen und definieren will, muß sich entwickeln können; es benötigt eine Tragezeit, die lang genug ist, sowohl glück liche Nachkommen als auch Fehlgeburten zu verkraften." Wir Bibliothekare sollten dafür sorgen, daß auf uns auch sein Nachsatz zutrifft: "Aber wir lernen schnell." (Total digital. München 1995. S. 83.) Wenn nicht, werden andere unsere Arbeit machen. Denn die Zeit des weitgehenden Monopols bei der Fremdversorgung mit Informationen ist unwiderruf lich vorbei.


  • Sekretariat der Bibliothek der Univeristät Bielefeld