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Die Bund-Länder-Initiative SUBITO


Dr. Michael Hirsch, Bonn, den 5. 2. 1996

1. Ausgangslage

Wer in Deutschland zu irgendeinem Thema wissenschaftliche Literatur braucht, muß dafür entweder viel Geld oder viel Zeit aufwenden. Wer viel Geld zur Verfügung hat, kann Kopien wissenschaftlicher Artikel bei bestimmten Bibliotheken direkt bestellen. Die Preise hierfür sind allerdings so hoch, daß faktisch nur die Wirtschaft in der Lage ist, diese Dienste in Anspruch zu nehmen.

Die große Mehrheit derer, die auf wissenschaftliche Literatur angewiesen sind, können derartige Preise allenfalls gelegentlich bezahlen. Sie müssen statt Geld Arbeitszeit investieren. Sie müssen in die n„chstgelegene Wissenschaftliche Bibliothek fahren, müssen sich dort den Artikel kopieren oder über die Fernleihe bestellen. Etwa 2 Mio. Kopien von Zeitschriftenaufsätzen werden jedes Jahr in Deutschland über die Fernleihe bestellt.

Die Bestellprozedur bei der herkömmlichen Fernleihe ist für die Bibliothek und für den Benutzer zu zeitaufwendig. Dieser muß im allgemeinen in die Universitätsbibliothek gehen und dort einen roten Leihschein ausfüllen. Die herkömmliche Fernleihe ist auch zu langsam bei der Lieferung: Im Schnitt dauert es mehr als drei Wochen, bis die Kopie bei der Bibliothek abgeholt werden kann. Nach so langer Zeit haben viele Besteller das Interesse an dem Aufsatz verloren. Nach einer Erhebung der Universitätsbibliothek Konstanz werden etwa vierzig Prozent der bestellten Kopien von den Bestellern nicht abgeholt.

Die herkömmliche Fernleihe ist außerdem zu kostenaufwendig für die Bibliotheken. Neue Berechnungen aus dem Deutschen Bibliotheksinstitut zeigen, daß der Staat pro Fernleihbestellung mindestens 20 bis 25,- DM aufwenden muß. Noch höher sind die Aufwendungen, wenn erst die zweite oder dritte Bibliothek die Kopie herstellen kann.

Die herkömmliche Fernleihe ist auch unsicher im Erfolg: niemand garantiert, daß der bestellte Aufsatz tatsächlich irgendwann kopiert und geliefert wird. Dieser in fast jeder Hinsicht mangelhafte Dienst hat allerdings für den Benutzer einen entscheidenden Vorteil: er kostet den Benutzer wenig. Die Fernleihgebühr ist von Land zu Land verschieden und liegt zwischen 50 Pfennig und 2 DM, in wenigen Ländern jetzt bei 3 DM.

In letzter Zeit werden von einzelnen Bibliotheken und Bibliotheksregionen schnellere und benutzerfreundlichere Dokumentlieferdienste auch zu erschwinglichen Konditionen angeboten (JASON, RAPDOC). Aber diese sind regional begrenzt in dem erschlossenen Zeitschriftenbestand und faktisch auch in der Benutzer-Zielgruppe; die Zugangs- und Lieferbedingungen sind verschieden.

2. Politisches Ziel von Bund und Ländern

Bund und Länder meinen, daß die Qualität der wissenschaftlichen Arbeitsplätze in Deutschland verbessert werden könnte, wenn die wissenschaftlichen Informationen generell leichter verfügbar sind und deshalb auch stärker genutzt werden. Dies ist also ein forschungs- und ein wirtschaftspolitisches Ziel.

Darüber hinaus gewährt unsere Verfassung jedem das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten (Art. 5 GG). Hieraus folgt ein Anspruch der Bürger gegen den Staat. Ungehinderter Zugang bedeutet hier zweierlei:

Die Kultusministerkonferenz hat mit dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie gemeinsam die Ziele formuliert: An jedem Arbeitsplatz in Deutschland sollen wissenschaftliche Aufsätze leicht recherchierbar und bequem zu bestellen sein. Sie sollen innerhalb von kurzer Zeit angeliefert werden können und auch für nicht-kommerzielle Benutzer erschwinglich sein.

3. Die Bund-Länder-Initiative

Die Wissenschaftsminister der Länder und des Bundes haben zu diesem Zweck eine Bund-Länder-Initiative ins Leben gerufen, die den Namen SUBITO erhalten hat. Hier kooperieren Bibliothekare, Verwaltungsleute, Vertreter von Verlagen und Fachinformationseinrichtungen sowie Wissenschaftler in einem Plenum und in Arbeitsgruppen. Eine Geschäftsstelle beim Deutschen Bibliotheksinstitut in Berlin sorgt für die Durchführung.

4. Die drei Realisierungsstufen von SUBITO

SUBITO soll in drei Stufen realisiert werden:

SUBITO.1 und SUBITO.2 sollen ihren Dienst am 1. März 1997 mit einer 9-monatigen Erprobungsphase aufnehmen.

5. Der Kernbereich

Der Kernbereich von SUBITO.1 ist die Lieferkomponente. Diese besteht aus einem Kreis von SUBITO-Lieferbibliotheken und einem Auftragsbearbeitungssystem. In der Erprobungsphase werden es 17 Lieferbibliotheken sein, danach steht es allen Wissenschaftlichen Bibliotheken frei, Lieferbibliotheken zu werden. Diese verpflichten sich, Kopien aus Zeitschriftenaufsätzen zu bestimmten Konditionen zu liefern.

6. Das elektronische Bestellformular

Die Lieferbibliotheken nehmen ausschließlich elektronische, computerlesbare Bestellungen entgegen (E-Mail und Z 39.50). Hierfür ist ein standardisiertes Formular bereits entwickelt worden.

In das Formular wird die Bestellerkategorie eingetragen, die sich danach richtet, ob die Kopie für Erwerbszwecke oder andere Zwecke genutzt werden soll.

Der Benutzer muß den Titel der Zeitschrift der Zeitschriftendatenbank oder einem ihrer Derivate entnehmen und eine Lieferbibliothek bestimmen. Der Benutzer muß außerdem die Lieferadresse angeben und das Konto, von dem das Entgelt abgebucht werden soll.

7. Die Zeitschriftendatenbank

Die Zeitschriftendatenbank (ZDB) ist das zentrale Nachweisorgan für SUBITO. In ihr sind sämtliche Zeitschriften markiert, die über SUBITO geliefert werden können. Grundsätzlich sollen die Gesamtbestände der SUBITO-Lieferbibliotheken als Lieferbestände gelten. Kann eine Lieferbibliothek eine einzelne Zeitschrift nicht liefern, müßte sie das in der ZDB vermerken.

Die ZDB wird allen Einrichtungen, die SUBITO-Bestellungen generieren wollen, online oder physisch zur Verfügung stehen. Die Nutzung der ZDB wird kostenlos sein, es sei denn, sie soll seperat vermarktet werden.

Im Rahmen von SUBITO.2 werden auch elektronische Datenbestände in die ZDB aufgenommen werden, so daß sie unter einer Oberfläche gemeinsam mit den gedruckten Zeitschriften recherchiert werden können.

8. Die elektronische Lieferung

Auch die Lieferung erfolgt grundsätzlich in einer standardisierten elektronischen Form als FTP oder E-Mail. Wünscht der Benutzer eine Lieferung per Fax oder gar per Briefpost muß er hierfür besondere Aufschläge bezahlen.

9. Das Auftragsbearbeitungs-System

Gemeinsam mit der DOD-Station von DBV-OSI wird das SURAD-System für die Auftragsbearbeitung bei den Lieferbibliotheken entwickelt. Dieses System nimmt die Bestellungen entgegen, verteilt sie auf die Lieferstationen, verschickt den File und übergibt die Daten an das Abrechnungssystem.

10. Das Abrechnungssystem

Auf dem Bestellformular muß der Besteller angeben, wie die Lieferbibliothek zu ihrem Entgelt kommen soll. Grundsätzlich wird hierfür das Lastschriftverfahren angewendet werden, weil es bequem und billig und auch für kleine Beträge brauchbar ist. Außerdem wirft es kaum Probleme hinsichtlich der Datensicherheit auf.

11. Die bestehenden Bestellsysteme

Es gibt in Deutschland eine große Zahl von Bestell- und Liefersystemen in Bibliotheksbereich. SUBITO wird so aufgebaut sein, daß es möglich ist, aus allen diesen Systemen heraus eine SUBITO-Bestellung aufzugeben. Wir hoffen, daß möglichst alle Bestell- und Liefersysteme sich hierzu entschließen.

Von großer Bedeutung ist, daß Bund und Länder kein bestehendes Bestell- und Liefersystem zwingen, sich an SUBITO zu beteiligen. Vielmehr steht es allen Systemen frei, ob und wie sie SUBITO-Bestellungen generieren und an SUBITO-Lieferbibliotheken leiten wollen.

Eine globale SUBITO-WWW-Seite wird für sämtliche Benutzer (Institutionen und Einzelpersonen) den Zugang zum SUBITO-Bestellsystem eröffnen. šber diesen Server werden sämtliche Bestellsysteme erreichbar, die den SUBITO-Bestelldienst anbieten und sich verpflichten, SUBITO-Bestellungen an die entsprechenden Lieferbibliotheken zu leiten. Dabei steht es den Bestellsystemen frei, ob sie zunächst ihre eigenen Ressourcen ausschöpfen und dann erst eine SUBITO-Bestellung aufgeben oder ob sie von vornherein dem Benutzer die Möglichkeit einer SUBITO-Bestellung eröffnen.

Wenn Bund und Länder den bestehenden Bestellsystemen freistellen, ob sie SUBITO-Bestellungen aufnehmen und weiterleiten, dann ist es theoretisch möglich, daß kein einziges Bestellsystem bereit ist, SUBITO-Bestellungen aufzunehmen. Daher war es erforderlich, daß ein eigenes Bestellsystem geschaffen wurde, das neben die anderen Bestellsysteme tritt und in jedem Fall bereit ist, SUBITO-Bestellungen zu den von Bund und Ländern festgelegten Konditionen entgegenzunehmen und weiterzuleiten. Dieses Bestellsystem hat den Namen SUBITO-ORDER erhalten.

12. SUBITO-ORDER

SUBITO-ORDER wird von jedem Arbeitsplatz aus über die WWW-Seite erreichbar sein, ebenso über Filetransfer. Eine Besonderheit gegenüber manchen anderen Bestellsystemen dürfte sein, daß Inhaltsverzeichnis-Datenbanken einbezogen werden, die erlauben, einzelne Zeitschriftenartikel unmittelbar ausfindig zu machen und zu bestellen. Damit wird sichergestellt, daß nicht nur die Zeitschrift und ihre Signatur, sondern auch die genaue Fundstelle und der Titel des Aufsatzes korrekt in die Bestellung aufgenommen werden.

Eine weitere Besonderheit besteht darin, daß SUBITO-ORDER besonders auf lieferfähige Sondersammelgebiets-Bibliotheken hinweisen wird, weil diese gerade für die überregionale Literaturversorgung mit erheblichen öffentlichen Mitteln von Bund und Ländern durch DFG-Förderung geschaffen worden sind..

13. Gebühren steuern das Nutzerverhalten

Kein anderes Merkmal eines Lieferdienstes steuert die Nachfrage durch die Nutzer so stark wie die Gebühr. Deshalb haben wir uns entschlossen, die Gebühren systematisch zur Steuerung des Nutzerverhaltens einzusetzen. Um dies verständlich zu machen, muß ich noch einmal an die Ziele der Bund-Länder-Initiative erinnern:

Um die Fernleihe für die Benutzer attraktiver und schneller und für die Bibliotheken billiger zu machen, müssen wir versuchen, die Benutzer von der klassischen Form der Fernleihe wegzuziehen hin zu der sehr viel effizienteren SUBITO-Fernleihe.

Wir haben zwei Bestellerkategorien gebildet, die sich danach unterscheiden, ob die Information für Erwerbs- oder für sonstige Zwecke genutzt werden soll. Bisherige Erfahrungen bei den Direkt-Liefersystemen haben gezeigt, daß eine Selbsteinschätzung der Besteller ausreicht. Eine einheitliche Gebühr wollen wir nur für den Fall festlegen, daß ein nicht-kommerzieller Benutzer eine Kopie innerhalb des Basisdienstes von 72 Stunden verlangt. Will er Sonderleistungen, also z.B. eine Lieferung innerhalb von 24 Stunden, eine Lieferung per Fax oder Brief oder eine seperate Rechnung, dann muß er hierfür festgelegte Zuschläge bezahlen.

Die Lieferbibliotheken sind darin frei, ihre Gebühren für diejenigen Nutzer selbst festzulegen, welche die Kopien für Erwerbszwecke gebrauchen wollen. Hier wird ein Wettbewerb zwischen den Lieferbibliotheken entstehen, der monopolistische Preise verhindert und zu einer Angleichung an den internationalen Markt führen wird.

14. Festlegung der Gebührenhöhe

Im Bereich der nicht-kommerziellen Nutzung besteht faktisch eine Abhängigkeit von der Fernleihgebühr. Da der Preis für die Studenten entscheidend ist (das haben insbesondere die Erfahrungen von JASON gelehrt), würde die SUBITO-Dienstleistung von Studenten nicht genutzt werden, wenn sie teurer wäre als die Fernleihe. Solange die Fernleihe und die SUBITO-Dienstleistungen nebeneinander existieren, darf die SUBITO-Gebühr nicht höher sein als die Fernleihgebühr. Eigentlich müßte sie sogar niedriger sein.

Die SUBITO-Gremien haben sich dafür ausgesprochen, daß die Fernleihgebühr zwischen den Ländern vereinheitlicht wird. šberall dort, wo sie noch nicht 3 DM beträgt, soll sie auf diesen Betrag angehoben werden. Wenn auch die Gebühr für die Basisleistung bei SUBITO auf diesen Betrag festgelegt würde, bestünden für SUBITO und den roten Leihschein im ganzen Bundesgebiet gleiche Gebühren. Ob die Studenten bei gleichen Gebühren tatsächlich die SUBITO-Dienstleistung wählen, bei der sie schneller und mit Garantie beliefert werden, bleibt abzuwarten. Immerhin wird von den Studenten erwartet, daß sie den Zeitschriften- oder Aufsatztitel selbst heraussuchen und die elektronische Bestellung generieren.

Wir rechnen damit, daß SUBITO nach einer gewissen Bewährungszeit zur Regelform der Kopienlieferung in der Fernleihe wird.

15. Ausblick auf SUBITO.2

Im Rahmen von SUBITO.2 werden verschiedene Formen der elektronischen Aufbereitung, Speicherung und Lieferung von Dokumenten erprobt werden, beispielsweise:

Die Benutzer von SUBITO sollen diese elektronisch gespeicherten Dokumente unter der gleichen Oberfläche finden können wie die gedruckten Dokumente. Am einfachsten wäre dies durch einen Eintrag in der Zeitschriftendatenbank oder einer damit verbundenen Nachweis-Datenbank.

Um gedruckte oder elektronische Dokumente dauerhaft elektronisch speichern zu dürfen, müssen die Bibliotheken mit den Rechtsinhabern Lizenzverträge abschließen. Hierüber finden z.Z. Gespräche zwischen den Bibliothekaren und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels in der Arbeitsgruppe "Recht" im Rahmen von SUBITO statt. Ich hoffe, daß hier bald eine Vereinbarung zustande kommt, die für SUBITO.1 und SUBITO.2 eine unumstrittene rechtliche Grundlage liefert.


Sekretariat der Bibliothek der Universität Bielefeld